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MENSCHENSKIND! Ein Film über alternative Familienmodelle

Menschenskind

Heute stelle ich dir den Film MENSCHENSKIND! von Marina Belobrovaja vor. Sie ist selber Solomama von einer mittlerweile 8 jährigen Tochter. Marina lebt in der Schweiz, die rechtlichen Bedingungen sind dort etwas anders als in Deutschland. Darüber erzählt sie uns später mehr. Ihr Tochter hat sie mit einem privaten Samenspender gezeugt. Als sich herausstellte, dass der Spender ziemlich viele Kinder hat, ist Marina nachhaltig irritiert. Jetzt erzählt sie uns erstmal selber, wer sie ist und wie der Film entstand:

Mein Hintergrund

Ich bin in der Sowjetunion zur Welt gekommen. Als ich 13 war, übersiedelten wir nach Israel. Mit 19 Jahren verließ ich Israel in Richtung Deutschland, um in Berlin Kunst zu studieren. Einige Jahre später setzte ich mein Kunststudium in Zürich fort. 

Die Liebesbeziehungen, die ich einging, waren instabil und flüchtig. Sie waren keine ausreichende Basis, um an Familie zu denken. Das künstlerische Arbeiten füllte mein Leben lange Zeit aus. Obwohl mir immer schon klar war, dass ich irgendwann Kinder haben will. 

Ich war 36, als ich Noë online begegnete. Zwei Monate lang schrieb ich verschiedenen Männern, die ihre Hilfe gleichgeschlechtlichen Paaren und Singlefrauen mit Kinderwunsch im Internet anboten. Jemanden für diesen Zweck bei einer Party abzuschleppen kam für mich ebenso wenig infrage wie die Vorstellung, mich auf eine Beziehung mit einem Mann nur des Kinderwunsches wegen einzulassen. Es musste jemand sein, mit dem ich von Anfang an mit offenen Karten spielen konnte. Und Noë war so jemand. 

Die Geburt meiner Tochter stellte mein Leben komplett auf den Kopf. Es fiel mir nicht leicht, den Alltag als alleinerziehende, arbeitende Mutter zu bewältigen. Allmählich erkannte ich, wie irritierend unsere Geschichte für viele war. Laufend wurde ich mit Meinungen, Fragen, Ängsten, aber auch Solidaritätsbekundungen konfrontiert. Braucht nicht jedes Kind eine männliche Bezugsperson? Sind Kinder nicht per se Früchte der Liebe und als Ergebnisse einer pragmatischen Verabredung irgendwie unvollständig? Ist eine Alleinerziehende nur dann existenzberechtigt, wenn sie vom Kindsvater verlassen wurde? 

Der Film 

Der Film MENSCHENSKIND! zeichnet die Entstehungsgeschichte meiner Tochter nach und setzt sich unter Einbezug weiterer Protagonist*innen mit der Frage auseinander, unter welchen Bedingungen Kinder heute gezeugt und großgezogen werden. Die Protagonist*innen des Films gehören unterschiedlichen Generationen an, haben sich aber im Verlauf ihres Lebens gleichermaßen für eine Existenz jenseits des traditionellen Familienmodells entschieden. 

Das Interview zu MENSCHENSKIND! von Jennifer

Aspekte der Co-Elternschaft

Marina, zum Hauptaspekt des Films kommen wir gleich, erstmal wüsste ich gerne noch etwas über deinen Weg. Kanntest du damals das Konzept der Co-Elternschaft? Vor 9 Jahren war das noch nicht so bekannt. Wäre das eine Alternative für dich gewesen?

Das damals sicher noch wenig verbreitete Konzept der Co-Elternschaft kannte ich aus einigen Beispielen in meinem Umfeld und habe mir diese Option durchaus überlegt. Mit zwei potenziellen Kandidaten, beide homosexuelle Männer mit Kinderwunsch, hatte ich einen regen schriftlichen Austausch. Bald musste ich allerdings feststellen, dass es mir schwer fiel, einen weiteren fremden Menschen neben dem mir noch völlig unbekannten Kind in mein Leben hereinzulassen.  

Trotzdem kommen in deinem Film zwei Co-Elternpaare vor, einmal Sven, der selber ein Kind aus einer Samenspende ist und nun Co-Vater zusammen mit einem lesbischen Paar geworden ist. Und dann noch Sandra und Anton. Die beiden finde ich besonders spannend, denn in ihrem Fall möchte sie keine Kinder, er aber schon. Er wird Co-Vater mit ihrer lesbischen Freundin. Sehr spannend. Warum hast du diesen Konstellationen Raum eingeräumt? Wolltest du die Komplexität der Elternschaft abbilden?

Es war mir wichtig, die Vielfalt aufzuzeigen. Der entstandene Film ist aber keine Reportage, sondern eine individuelle Erzählung und die Protagonist*innen entstammen vorwiegend meinem persönlichen Umfeld. Es gäbe natürlich viele weitere alternative Elternschafts- und Familienkonstellationen, die im Film nicht berücksichtigt werden. 

Was die Geschichte von Anton und Sandra betrifft, so geht es mir dabei nicht nur um seine Co-Vaterschaft und ihre Involviertheit in deren Umsetzung. Wichtig finde ich auch, Sandras Entscheidung, kinderlos zu leben. Dieser Lebensentwurf scheint mir heute, ebenso wenig gesellschaftlich akzeptiert zu sein wie die Allein-Elternschaft. 

Die Perspektive von Sven interessiert mich nicht zuletzt auch aufgrund seiner doppelten Verstrickung: mit Abstand von wenigen Jahren ergründet er seine bis dahin geheim gehaltene Entstehungsgeschichte und wird selbst zum Co-Vater mit einem befreundeten lesbischen Paar.

Wie wirken denn die anderen Konstellationen auf dich, im Vergleich zu deiner Elternschaft? Entspannter? Oder bestärkt dich das in deiner Entscheidung?

Alle diese Familienmodelle und Rollenverständnisse spiegeln für mich eine Vielfalt, die die gelebte Wirklichkeit unserer Gesellschaft ausmacht. Diese Wirklichkeit beinhaltet weit mehr Modelle und Szenarien als dasjenige, das nach wie vor als die Normalität postuliert wird. Insofern ja, die unterschiedlichen Lebensgeschichten meiner Protagonist*innen bestärken mich in meiner Entscheidung, meinen eigenen Vorstellungen zu folgen. 

Nun haben ja noch nicht so viele den Film gesehen und ich möchte nicht spoilern, aber lass uns mal festlegen, dass wir in ein paar Monaten nochmal sprechen und du mir erzählst, wie die Geschichte von Sven und Sandra weitergegangen ist. Vielleicht kann ich sogar mit Sandra sprechen?

Ein Film ist ja immer nur ein Ausschnitt. Das Leben aller Protagonist*innen geht weiter. Ich wurde schon mehrmals gefragt, ob es eine filmische Fortsetzung geben wird. Aus der Perspektive der Regisseurin würde ich darauf antworten: die Fortsetzung des Films findet in unseren Lebensrealitäten statt. 

Und über den Film hinaus denke ich, dass Sandra und Sven die Fortsetzung ihrer Geschichten tatsächlich am besten selbst erzählen könnten.

Aspekte der Solomutter in MENSCHENSKIND!

Und jetzt zurück zur Samenspende: In der Schweiz sind die Gegebenheiten ja nochmal ganz anders als in Deutschland. Hier ist eine private Samenspende rechtlich relativ unsicher, die Konsequenzen können massiv sein. Es ist unbedingt notwendig, sich rechtlich beraten zu lassen und einen notariell beglaubigten Vertrag aufzusetzen. Wie hast du das gelöst? Kann dich der Spender auf Umgang oder Unterhalt verklagen?

Die rechtliche Situation in der Schweiz, die nach wie vor den meisten europäischen Ländern hinterher hinkt, war für mich mit der Hauptgrund, meinen Kinderwunsch über eine private Samenspende zu realisieren. In der Schweiz haben ausschließlich verheiratete Heteropaare einen Zugang zu Samenbanken. Für alle anderen besteht die einzige Möglichkeit, einen in der Schweiz lebenden und für das Kind zu einem späteren Zeitpunkt zugänglichen Spender zu finden, in einer privaten Samenspende. Diese ist allerdings illegal und wird rechtlich verfolgt: liegt bei der Geburt keine Vaterschaftsanerkennung vor, wird der Fall sogleich an die Kinderschutzbehörde (KESB) weitergeleitet. Die Behörde befragt die Mutter wenige Wochen nach der Geburt zu der Entstehungsgeschichte des Kindes und stellt ihr für mehrere Jahre einen Beistand, der sie bei der (nachweislich aktiven!) Suche nach dem Erzeuger “unterstützt”. Je nach Kanton wird diese Suche unterschiedlich gehandhabt, in einigen sogar polizeilich begleitet. 

Dem Staat geht es dabei um die Gewährleistung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung ebenso wie etwa um die Alimentenzahlungen. Doch leider beschränkt sich der bestehende gesetzliche Rahmen auf ein einziges Familienmodell. Alle anderen werden im Grunde in die Illegalität gezwungen und kriminalisiert. Diese Handhabung führt dazu, dass die Inanspruchnahme privater Samenspende ausschließlich auf gegenseitigem Vertrauen und somit auch gegenseitiger Abhängigkeit basiert: der Samenspender könnte meinem Kind die Möglichkeit des Kennenlernens entziehen und ich könnte ihn an die Behörden verpfeifen. Also stützen wir uns gegenseitig und halten an der ursprünglichen – ausschließlich mündlichen – Abmachung fest.

Ich bin kein großer Fan der privaten Samenspende, wenn die Beteiligten sich nicht genug Gedanken gemacht haben. Die möglichen Konsequenzen werden oft zu wenig bedacht. Und wenn es eine private Spende sein soll, rate ich immer dazu, auf die Bechermethode zu bestehen. Ihr hattet Sex, richtig? Hat der Spender darauf bestanden? Warum nicht die Bechermethode?

Der Spender hat die Entscheidung über die Methode mir überlassen. Als heterosexuelle cis Frau sah ich für mich persönlich keinen Grund, mich für eine andere Methode als Sex zu entscheiden. Auch hatte ich keine Hemmungen, ihm nahe zu sein. Denn es war mir – wie ich es während meines Entscheidungsprozesses feststellen musste – sogar wichtig, einen Samenspender zu finden, zu dem ich mich körperlich hingezogen fühlte. 

Wo hast du den Spender gefunden? In welchen Foren?

Es war eine Schweizer Plattform für Regenbogenfamilien, bei der ich mich angemeldet habe, die mir von allen damaligen Angeboten am sympathischsten war und die es leider nicht mehr gibt.

Warum war die Samenbank für dich keine Alternative? Im Ausland wäre das ja möglich gewesen. 

Es war mir ein Anliegen, dass mein Kind die Möglichkeit hat, den Erzeuger kennenzulernen. Nun gäbe es heute auch die sogenannten Yes-Spender, allerdings nicht in der Schweiz. Da die Erreichbarkeit des Spenders in meinen Überlegungen eine zentrale Rolle spielte und ich der Kriminalisierung durch keine der beiden Varianten – ob privat in der Schweiz oder Samenbank im Ausland – entkommen wäre, habe ich mich für eine Samenspende in der Schweiz entschieden. 

Aspekt des Massenspenders

Du hast im Nachhinein herausgefunden, dass Noë ein Massenspender ist. Wieviel Geschwister hat deine Tochter? Und wie wirst du sie darüber aufklären?

Meine letzte autorisierte Information war, dass meine Tochter 59 Geschwister hat. Sie weiss um ihre Geschichte und spricht sehr offen darüber. Als sie ca. 3 Jahre alt war, begann ich, mit ihr in einer für sie nachvollziehbaren Form darüber zu sprechen. Von Beginn an war für mich die Transparenz ihr gegenüber ebenso selbstverständlich wie die Kommunikation unserer Geschichte in der Öffentlichkeit. 

Hättest du von den vielen Kindern gewusst, hättest du ihn trotzdem als Spender gewählt? Stört es dich, dass es so viele Geschwister gibt?

Ich muss gestehen, dass mich diese Information stark irritiert hat, was auch in MENSCHENSKIND! spürbar wird. Denn biologische Verwandtschaft in diesem Umfang übersteigt die  Vorstellungskraft der meisten von uns. Nun gehört diese Tatsache zur Realität unserer Familie, mit der wir uns auseinandersetzen. 

Mit der Frage danach, ob ich wissend um die vielen Kinder es anders gemacht hätte, geht auch die Frage nach der Existenz meiner Tochter einher. Aus diesem Grund ist mir heute schlicht nicht möglich, sie sachlich zu beantworten.

Was aber das Phänomen der sogenannten Massenspender betrifft, so denke ich, dass diese Problematik primär auf politischer Ebene geregelt werden muss. Solange aber die Politik und die Gesetzgebung die Augen vor der Vielfalt der existierenden Elternschaftsmodelle verschließen und jegliche Alternativen zur heterosexuellen Kleinfamilie kriminalisieren, wird die Praxis der Samenspende nicht für alle involvierten Parteien befriedigend geregelt werden können.

Interview von Katharina Horn

Katharina Horn kennst du sicher mittlerweile. Sie ist selber Solomama, ihr Sohn stammt aus einer Samenspende von der Samenbank. Als Kinderwunschberaterin ist Katharina besonders auf die Aufklärung von Kindern aus einer Samenspende spezialisiert. Ihr ist es deshalb besonders wichtig, dass die Rechte der Kinder gewahrt werden. Eine private Samenspende muss daher gut geregelt und bedacht werden. Wird ein Kind mittels Samenbank gezeugt, dann gibt es einen Eintrag ins Samenspenderregister. Das Kind bekommt mit 16 und in begründeten Fällen auch schon früher die Möglichkeit, den Spender zu kontaktieren. Die gesetzliche Regelung in Deutschland ist da eindeutig. In der Schweiz leider nicht.

Wenn Du Deinem früheren Ich (vor 9 Jahren) eine Botschaft senden könntest, welche wäre das?  

Gelassener und geduldiger zu bleiben! Aber eigentlich hat dieser Ratschlag für mich nach wie vor seine Gültigkeit.

Was würdest Du anders machen? 

Ich habe anfangs zu viel von meinem Umfeld erwartet. Viele Missverständnisse und Spannungen wären mir erspart geblieben, wenn ich von Beginn an auf bezahlte Hilfe gesetzt hätte (wobei mir klar ist, dass dafür eine entsprechende finanzielle Situation gegeben sein muss). 

Welche Situation hat Dich im Laufe dieses Weges überrascht?

Als meine Tochter etwa 1.5 Jahre alt wurde, bin ich eine Liebesbeziehung mit einem (kinderlosen) Mann eingegangen. Überraschend eindeutig war für mich die Erkenntnis, dass es mir nie mehr möglich sein wird, mich auf ein anderes Familienmodell einzulassen. Die Familie sind meine Tochter und ich. Das schließt Liebesbeziehungen keineswegs aus, schließt sie aber auch nicht in unsere Konstellation mitein. 

An welcher Stelle Deines Weges hättest Du Dir von wem Unterstützung gewünscht?

Ein Austausch mit Menschen in vergleichbaren Situationen wäre sicherlich bestärkend gewesen. Erfahrungswerte, wie die Organisation der Kinderbetreuung, rechtliche Konsequenzen meines Wegs, Umgang mit Behörden, logistisch-organisatorische Fragen hätten mir zu Beginn viele blaue Flecken erspart. 

Welchen Tipp hast Du für alleinstehende Frauen mit Kinderwunsch?

Der Weg der alleinigen Elternschaft ist hart. Ich denke, dass es für Frauen, die sich trotzdem dafür entscheiden, wichtig ist, einerseits die Überzeugung mitzubringen, dass es für sie das einzig Richtige ist und sich andererseits ausreichend darauf vorzubereiten – emotional ebenso wie logistisch. Eine solche Basis gibt die notwendige Kraft, für die eigene Entscheidung selbstbewusst einzustehen.

MENSCHENSKIND!

Wichtig ist mir, Jennifer, noch zu sagen, dass der Film keine Dokumentation ist, sondern eine persönliche Auseinandersetzung von Marina mit ihrer Situation. Sie setzt sich ehrlich mit sich selber auseinander und gibt auch anderen kritischen Stimmen Raum. Solltest du auf dem Weg zur Solomama sein, kann der Film daher abschreckend wirken.

Da wir, Katharina und ich, eine kritische Auseinandersetzung mit der Solomutterschaft beide begrüßen und auch Marina den Austausch wichtig findet, wird es sicher sehr bald eine Veranstaltung geben, bei der wir alle gemeinsam im geschützen Raum eure Fragen zum Film diskutieren werden.

Wo kannst du den Film sehen?

Webseite des Films: www.menschenskind-film.ch

Aktuelle Vorführungen (laufend aktualisiert): https://www.menschenskind-film.ch/screenings

Facebook: facebook.com/menschenskindfilm

Instagram: @marina_belobrovaja

Wir freuen uns auf euch!

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